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Wie unter einem Brennglas ist die Entwicklung einer hyperdisziplinierten Gesellschaft im asiatischen Raum zu beobachten. Die Vereinzelung der Menschen wächst hier proportional zur Digitalisierung.
Im Land des schnellsten Internets der Welt, in Südkorea ist ein Leben ohne Smartphone, Handy oder Labtop inzwischen undenkbar.
Der Computer ist unerlässlich für die Arbeit am sozialen Kapital.
Auf der Jagd nach gesellschaftlicher Anerkennung sind Technologiebegeisterung, Marktlogik und Konformitätsdruck die Triebfedern für eine fortwährende Selbstoptimierung.
Selbstoptimierung ist nicht auf den privaten Bereich beschränkt, sondern wird von den Angestellten in den Betrieben verlangt. Unbedingte Loyalität und grenzenlose Verfügbarkeit sind Teil der Arbeitswirklichkeit. Dies schränkt die Pflege privater Beziehungen außerhalb der Arbeit stark ein.
Der konsistente Mangel erschwert die Familienplanung und ist ursächlich für eine stetig wachsende Zahl alleinstehender Menschen.
Gleichzeitig gilt in der asiatischen Leistungsgesellschaft das Single sein als Stigma.
So ist etwa allabendlich allein zu essen mit einem Makel behaftet.
Hier kommt die Maschine ins Spiel. Der Computer ersetzt die Leerstelle, indem ein Partner live aus dem Internet zugeschaltet wird.

Dieses Bedürfnis nach Nähe und Kommunikation eröffnete kommerziellen Fernsehsendern ein neues Geschäftsfeld. Sie entwickelten einen Rollentausch.
Der ehemalige Sozialpartner wurde von den Medien in ein Spektakel verwandelt, das live vor der Kamera unvorstellbare Mengen verschlingt.
Je größer die verzehrte Menge während des Gelages ist, desto mehr Klicks gibt es von den Zuschauern. Die Menge der eingesammelten Starballoons (Klickzahlen) entscheidet über das Einkommen der Esser.
Dieses Binge-Eating Format hat einen Siegeszug um die Welt angetreten. Eventuell erklärt der pornographische Charakter der einzelnen Darbietungen seinen Erfolg.
Nun regt sich Widerstand. Die chinesische Regierung, die seit Jahren in Afrika Agrarflächen zukauft, um die Lebensmittelversorgung seiner Bürger zu gewährleisten, hat im August 2020 Lebensmittelverschwendung unter Strafe gestellt. Damit ist jede Form der Verbreitung von Binge-eating, Mukbang oder übermäßiger Nahrungsaufnahme bei einer Strafe von fünfzehntausend Dollar verboten. Die Restaurants sind angehalten ihren Gästen reduzierte Portionen zu verkaufen.
Die Kampagne Clean Plate soll Verschwendung bekämpfen. In wieweit sie das Spektakel eindämmen und das soziale Problem lösen kann, wird sich zeigen.

Sibylle Hoessler Juni 2021